vornamen - vornamen für Jungen und Mädchen
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Cheyenne ja, Berlin nein?

Rechtliche Unsicherheiten in der heutigen Vornamengebung

Von Wilfried Seibicke, Heidelberg

"Nach unseren Ermittlungen ist Cheyenne der Name eines nordamerikanischen Indianerstammes und zugleich der Hauptstadt des Bundesstaates Wyoming, und damit ist er unseres Wissens nach deutschem Namenrecht und -brauch als Vorname nicht geeignet. In den Vereinigten Staaten gibt es jedoch so gut wie keine rechtlichen Beschränkungen bei der Namenwahl, und deshalb ist es dort möglich, Orts- und Stammesnamen wie Cheyenne als Vornamen eintragen zu lassen. Manchmal breiten sich solche Namen, die keine Vornamen im eigentlichen Sinne sind, mit der Zeit aus und werden dann wie Vornamen gebraucht und als solche verstanden. In den mehr als zwei Dutzend modernen Vornamenbüchern aus dem englischen und angloamerikanischen Sprachraum, die uns zur Verfügung stehen, ist Cheyenne indes nicht als Vorname genannt. Das spricht dafür, dass dieser Name selbst in den Vereinigten Staaten noch nicht allgemein als Vorname empfunden wird."

So im Jahr 1995 eine meiner Vornamenauskünfte, abgedruckt im folgenden Jahr in dieser Zeitschrift1, und sie hat folgerichtig dazu geführt, dass ich im ersten Band meines neuen großen Vornamenbuches2 den Namen mit dem Zeichen + versah, das ›als Vorname (nach deutschem Recht) unzulässig‹ bedeutet. Heute kann ich ergänzen, dass der Name aus der Sprache der Algonkinindianer stammen und ›Fremde; Leute, die eine fremde Sprache sprechen‹ bedeuten soll, also etwa so viel wie barbaroi im Altgriechischen. Aber damit wird Cheyenne noch nicht zu einem Vornamen. Da es jedoch in den USA, wie gesagt, keine Beschränkungen wie im deutschen Namenrecht gibt, bestand und besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Cheyenne auch als Vornamen zu vergeben, und das ist offensichtlich auch geschehen. Ob der weltbekannte Schauspieler Marlon Brando als erster den Einfall hatte, seine Tochter Cheyenne zu nennen, oder ob nur die eifrige Berichterstattung der Medien über diese herausragende Künstlerpersönlichkeit und seine Familie den Namen weltweit bekannt gemacht hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall führen einige angloamerikanische Vornamenbücher seit 1993 Cheyenne als Vornamen auf, und zwar als Mädchennamen.3 Diese Vornamenbücher habe ich allerdings erst einige Jahre später zu Gesicht bekommen, aber als Möglichkeit hatte ich diese Entwicklung ja bereits 1995/96 angedeutet. Mittlerweile habe ich mehr als zwanzig Belege dafür, dass Cheyenne auch in Deutschland als Vorname eingetragen wurde, und nachdem die Standesämter und Gerichte so viele Präzedenzfälle geschaffen haben, ist es unumgänglich, Cheyenne auch in Deutschland uneingeschränkt als Vornamen zuzulassen.

Die Frage ist jetzt aber, ob Cheyenne auch eindeutig weiblich ist. Die Aussage der zitierten angloamerikanischen Vornamenbücher spricht zunächst dafür. Blickt man jedoch auf die Herkunft des Namens, dann ist klar: Als Mehrzahlform für Angehörige eines Stammes und als Ortsname ist Cheyenne zweifellos geschlechtsneutral. Das wird zudem bestätigt durch das neuere amerikanische Vornamenbuch von Janet Schwegel4, das auf der Auszählung von über 120.000 Vornamen beruht, die Mitte der neunziger Jahre in den USA vergeben wurden. Danach ist Cheyenne dort sowohl für Mädchen wie auch für Jungen eingetragen worden, wenn auch die Anzahl der Jungennamen wesentlich geringer ist. Und auch in Deutschland ist bereits 1996 Jörg-Cheyenne für einen Jungen gewünscht und anerkannt worden. Dennoch wird Cheyenne allem Anschein nach überwiegend als weiblicher Vorname verstanden (dabei spielt gewiss das auslautende ?[en]ne eine wichtige Rolle), übrigens auch in Frankreich, wo für das Jahr 2002 mit hundert bis dreihundert neugeborenen Mädchen mit diesem Vornamen gerechnet wird.5 Mein Vorschlag wäre daher - wofür ich schon im Falle von Heike6 und Dominique7 plädiert habe -, den Namen als weiblich einzustufen und nur im Falle der Eintragung für einen Jungen einen weiteren, geschlechtsspezifischen Vornamen zu verlangen. Aber dieser Vermittlungsversuch ist schon 1981 gerichtlicherseits abgewiesen worden. Leider stellen sich die Juristen hier einem Wandel in der Vornamenverwendung entgegen.

Nachdem nunmehr klargestellt ist, dass Cheyenne aufgrund der von den Behörden geschaffenen Tatsachen als Vorname in Deutschland gebräuchlich geworden ist - das gilt übrigens ebenso für Chelsea, Dakota und ähnliche Lehnnamen aus dem Angloamerikanischen -, möchte ich die grundsätzliche Frage an die Jurisprudenz richten, wie sie umzugehen gedenkt mit diesen beiden miteinander streitenden Richtlinien:

  1. Als Vornamen dürfen/sollen nur Vornamen eingetragen werden, also keine Familiennamen, geographischen Namen, Adelstitel usw.;
  2. Namen, die irgendwo auf der Welt als (besser: wie) Vornamen gebraucht werden, dürfen auch im Deutschen als Vornamen eingetragen werden.

Die Sache wäre einfach zu entscheiden, wenn in allen Sprachen und Kulturen der Welt die gleichen Personennamensysteme und die gleichen Rechtsgrundsätze bei der Eintragung von Vornamen bestünden. Das ist aber nicht der Fall. Der Begriff "Vorname" ist vielmehr kulturabhängig. In den Vereinigten Staaten dürfen auch Nicht-Vornamen eingetragen werden, und darüber hinaus lassen sich Vornamen und sog. Middle Names, die vor dem Familiennamen stehen wie bei uns Zweitvornamen oder patronymische Zwischennamen, oft nicht streng auseinander halten. Wenn diese Namen aber nun in irgendwelchen ausländischen Vornamenbüchern auftauchen, dürfen sie auch bei uns vergeben werden - übrigens manchmal ohne Rücksicht auf ihre "Verträglichkeit" mit der deutschen Vornamentradition (vgl. Luca, Andrea und Gabriele als männliche Vornamen nach italienischem Vorbild), manchmal ohne Rücksicht auf ihren Gebrauch im Herkunftsland (z. B. Luca und Jona als Mädchennamen).

Zugespitzt formuliert: Wenn ich mein Kind Cheyenne oder Dakota nennen darf, warum dann nicht auch Bayer, Schwabe, Milano oder London? Wie sieht die Rechtslage aus, wenn jemand Berlin als Vornamen wünscht? Was ist da wichtiger: die Herkunft als Ortsname oder die Tatsache8, dass Berlin in den Vereinigten Staaten als Jungen- und sogar als Mädchenvorname (!) bezeugt ist? Warum sind La Toya (Latoya) ›die Ginsterbewachsene‹ (Name einer Insel vor der nordwestspanischen Küste) und Maui (Name einer Insel im Hawaii-Archipel) zulässig, nicht aber Sylt und Helgoland?

Es ist sehr zu wünschen, dass von juristischer Seite klare Regeln erarbeitet werden, die dann auch von allen Instanzen eingehalten werden. Zurzeit jedenfalls gibt es in dieser Hinsicht ein ziemliches Durcheinander und damit eine beträchtliche Rechtsunsicherheit. [ ]


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1 Der Sprachdienst 1996, S. 187 f.
2 WILFRIED SEIBICKE, Historisches Deutsches Vornamenbuch, Berlin u. New York, 1996, S. 393.
3 Zum Beispiel DANIEL AVRAM RICHMAN, From Aaron to Zoe, Boston u. a., 1993, S. 90 (mit Zusatz: "unusual" – ungewöhnlich); BARBRA KAY TURNER, The very best book of baby names, Berkley, 1994, S. 90; PAMELA SAMUELSON, Baby names for the new century, New York, 1994, S. 46.
4 The baby name count down, 4. Aufl., New York, 1997, S. 106 u. 314.
5 PHILIPPE BESNARD u. GUY DESPLANQUES, La cote des prénomes en 2002, Paris, 2001, S. 434.
6 Das Standesamt 1981, S. 244.
7 Wie Anm. 2, S. 528 f.
8 J. SCHWEGEL (wie Anm. 4), S. 90 u. 306.


Quelle: Gesellschaft für deutsche Sprache e.V., Wiesbaden - www.gfds.de



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